Vor sechseinhalb Jahren versah der Designer aller Flywire-Schuhe und Leiter von Nikes Innovation Kitchen, Jay Meschter, einen Leisten – das Modell, um das herum der Schuh aufgebaut wird – mit Nadeln und Fäden nur an den Stellen des Schuhs, an welchen der Fuß Halt benötigt. Das Model sah eher aus wie eine Papierstickerei aus den 70er Jahren, eröffnete aber unvorstellbare neue Möglichkeiten. Dieses Produktkonzept barg in sich das Potential für die Revolutionierung des Schuhdesigns.
Ein Skelett oder Gestell, das dem Fuß durch strategisch angeordnete Fasern Halt gab, brachte die Designer bei der Entwicklung von Hochleistungsschuhen von der Annahme ab, dass mehr Material auch gleichzeitig mehr Halt bedeute. Das Innovation Kitchen erkannte das Potential, das in dieser Technologie steckte, jedoch gab es damals keinen einfachen oder kostengünstigen Weg, um diese Innovation für konkrete Produkte umzusetzen. Das Projekt verschwand so lange in der Versenkung, bis Jay Meschter und sein Team Maschinen und Herstellungsverfahren fanden, die dies ändern sollten.
Ein paar Jahre später fand Meschter die entscheidende Antwort im Musterlager von Nike genau vor seinen Augen, in Form einer einfachen Stickmaschine. Sticken war genau der richtige Ansatz zur Flywire-Technologie. Theoretisch können sich die Nadeln der Maschine in alle Richtungen bewegen und die langen Stiche durchführen, die für diese innovative Technologie notwendig sind. Natürlich war es nicht ganz so einfach. Die Maschine musste umgebaut und neu programmiert werden, um das Ergebnis zu liefern, welches den Vorstellungen von Jay Meschter entsprach.
Eine Naht über das Obermaterial anstatt eines langen Stiches hätte genauso viel bewirkt, wie eine Verzierung der Schuhseiten. Bei einem langen Stich basiert die Struktur vollständig auf dem Trägerfaden. Dank der enormen Gewichtsreduzierung durch die Flywire-Technologie sind für einen guten Halt nicht mehr mehrere Materialschichten notwendig, durch die das Gewicht erhöht und die Flexibilität verschlechtert wird.
Schon ziemlich früh arbeitete das Designteam bei diesem Prozess mit Experten für Biomechanik im Nike Sports Research Lab (NSRL) zusammen. Mit Klebeband bewaffnet umwickelten sie die Füße der Designer. NSRL-Forscher Jeff Pisciotta war schon lange von der Idee fasziniert, ein zusätzliches Band zu entwickeln, das Bewegungen erleichtern würde. Bänder führen Gelenke in die richtige Richtung. „Wir wickelten den Fuß mit dem Klebeband bis zur Ferse ein, um laterale Stabilität zu gewährleisten. Dadurch und mit Grundkenntnissen der Anatomie konnten wir die Flywire-Fasern an den richtigen Stellen platzieren,“ erklärte Pisciotta.
So eine präzise Platzierung der Flywire-Fasern macht das Obermaterial zu einer Art zweiter Haut. Das Gewebe dient lediglich als Schutz vor Steinchen und Schmutz. Die Fasern liefern den gesamten Halt und die neuen Schuhe liefern eine Lösung für etwas, das als unlösbar galt – Schlupf.
Beim Gehen bzw. Laufen rutschen die Füße im Schuh mit jedem Schritt hin und her. Zwar handelt es sich hierbei vielleicht nur um einen Millimeter, aber auf der Laufstrecke addieren sich diese. Bei einem 1000-Meter-Lauf würde das z. B einem ganzen Meter entsprechen, der bis zur Ziellinie potentiell eingespart werden könnte – nicht gerade wenig, wenn der Abstand zwischen dem ersten und dritten Platz geringer ist.
„Bei der Flywire-Technologie wird die Platte einfach an der Fußsohle befestigt – was früher unvorstellbar war – und der Schuh selbst wird gar nicht erst bedacht“, so Meschter. Das bringt Nike auch einen Schritt näher an Bill Bowermans Ziele. Als er noch Trainer war, meinte er, dass der perfekte Sprintschuh einfach ein Nagel durch den Fuß wäre. Die Flywire-Technologie ist zwar nicht ganz so extrem wie ein Nagel durch den Fuß, aber es ist noch niemand vorher so weit gekommen, eine Sprintschuhsohle direkt am Fuß zu befestigen. Die Technologie feiert Ihr Debüt in der Leichtathletik mit dem Nike Zoom Victory Spike und dem Nike Zoom Victory+ sowie im Basketball mit dem Nike Hyperdunk.